Hintergrund

Verluste, AIDS & gesellschaftliche Ausgrenzung

Quelle/Material

Dietrich from Agentur Bildung on Vimeo.

Die AIDS-Katastrophe

“und dann passierte, wie wir alle wissen, in den 80er Jahren diese Aids-Katastrophe, die auch in meinem Leben große Spuren hinterlassen hat. Ich muss sehr nüchtern feststellen, dass von meinen gesamten Bekannten in den Vereinigten Staaten, Freunde, Bekannte, Kollegen, nach wenigen Jahren niemand mehr am Leben war. Also, außer meinem früheren Chef habe ich niemanden mehr getroffen. Es waren natürlich in dem Klinikum, wo ich war, auch sehr viele schwule Ärzte, auch sehr viel schwules Pflegepersonal und (äh) es war eigentlich ganz furchtbar. Ich hab´ da große Schwierigkeiten, drüber nachzudenken, weil es jetzt auch im Alter immer mehr Erinnerungen an diese Zeit gibt und Erinnerungen an Menschen, von denen ich denke, ich würde gerne mit denen irgendwann noch einmal zusammen sein. Mich einfach mit ihnen unterhalten, über das, was aus ihnen geworden ist. (äh) Das war ziemlich katastrophal.”“Ich habe auch erst in den 90er Jahren wieder zurückgefunden nach San Francisco, weil ich da eben noch Freunde und Bekannte hatte. Aber ich konnte über viele Jahre da nicht hinfahren, weil ich erfuhr, wer alles verstorben war.”

Harm-Peters Verluste

“Was meine deutschen Freunde angeht, muss ich auch sagen, sie sind nicht alle verstorben, sondern es gibt zwei sehr alte Freunde, die ich beide aus den späten 60er Jahren kenne, die beide HIV-positiv waren und die es in diese Zeit geschafft haben. Und die immer noch leben. Die auch gesund leben und die gut zurechtkommen mit allen Einschränkungen. Dieses Glück hat mein Freund noch nicht gehabt und was mich nach wie vor verstört, waren die Umstände seines verhältnismäßig doch überraschenden Todes. Er litt an einer Nieren-Insuffizienz, das war schon vorher bekannt, er hatte eine sogenannte Zysten-Niere, das war erblich in der Familie. Zu Deutsch heißt das, er hatte eine mangelnde Nierenfunktion. Mit der hat er gut leben können, es hat wohl ausgereicht. […] ”“Er kriegte einige Tage später Probleme mit seiner Niere. Als er noch bei mir in Wiesbaden war, oder sagen wir: es zeichnete sich ab. Und da er gut versichert war, hab ich ihm gesagt, versuche doch in eine gute Fachabteilung in München zu kommen an einer der Universitätskliniken. Ich will jetzt bewusst nicht sagen, ob´s die links der Isar oder rechts der Isar war. Es war eine von beiden. Aber ich weiß ja nicht, ob die Menschen noch leben, aber es ist natürlich etwas, was einen verbittert. Er hat also in einer diesen beiden Kliniken angerufen. Er ist auch tatsächlich als Privatpatient mit dem Klinikchef verbunden worden, der sich sehr aufmerksam zeigte und sich das alles schildern ließ und mit ihm einen Termin vereinbarte. […]”“da sagte er, übrigens, ich bin HIV-positiv. Er hat das getan, weil ich ihm ja mal gesagt hatte, wenn´s wirklich kritisch ist, dann musst du so was sagen. Hätte ja gereicht, er hätte ihm das dort, am Ende der Konsultation gesagt. Wir bekamen zehn Minuten später den Anruf einer Sekretärin, der Herr Professor hätte sich in der Termingebung geirrt, er hätte überhaupt keine Termine frei für die nächsten drei Monate, denn er würde auf einen Kongress fahren uns so weiter und so fort. Er möchte sich doch anderswo bemühen. Also, das ist auch etwas, was mich bis heute entsetzt. Also sowohl, dass man ihm im Vorfeld schon eine Konsultation ablehnte, nach dem Motto: damit wollen wir nichts zu tun haben. Mir erscheint das, also, höchst zweifelhaft, dass der nicht vorher seinen Terminkalender kannte. Und dass das auch zu seinem Ende passiert ist, er in dieser Weise abgewiesen wurde. Das ist etwas, was mir sehr lange nachgegangen ist, und jetzt kommt eigentlich der Schluss der Geschichte. (Pause) Als seine Verwandten zu seiner Beisetzung kamen, da wurde seine in München lebende Schwester…, die kamen alle aus Norddeutschland…, die wurde mit Fragen berannt, woran er denn so plötzlich gestorben sei. Und da ist sie dem ausgewichen und da hab´ ich zu ihr gesagt, du, das ist doch gar kein Problem, sag doch einfach, er…, es ist ja in eurer Familie bekannt, dass er Nierenzysten hatte, sag doch einfach, er ist an einer Niereninsuffizient gestorben, einem Nierenversagen. Das hat sie denn auch fleißig gemacht. Ich hab´ ihr dann gesagt, eigentlich möchte ich gerne diesen Situationen sowohl in der urologischen Klinik, als auch in dem Krankenhaus, wo man ihm die Dialyse verweigert hat, nachgehen. Da hat sie mich angefleht, dass ich das nicht tun möchte. Vor allem im Hinblick auf ihre Verwandten. Und die Verwandten haben ständig bei mir auf den Busch geklopft und haben gesagt, nun geben Sie´s doch zu, nun sagen Sie´s doch, wir haben schon lange die Vermutung und ich sagte, nein, der ist an einer…, wie Ihre Schwester sagte, an einem Nierenversagen verstorben. Aber sie selber war bemüht, die Wahrheit nicht an den Tag kommen zu lassen. Das ist etwas, was diese Zeit ganz außerordentlich stark geprägt hat. Ist für mich auch immer noch der letzte Himmel der bleiernen Zeit.”“Er ist ja nicht der einzige, den ich verloren habe von sehr, sehr engen Freunden. Ich habe dann auch noch einen jungen Amerikaner verloren. Das möchte ich eigentlich jetzt auslassen, denn ich möchte vielleicht anfügen, dass der auch etwas, ja, ich würde mal sagen, gar nicht viel später gestorben ist. Mit dem war ich auch in Deutschland befreundet. Dass der immerhin in seiner letzten Lebenszeit zu seiner Familie heimkehren konnte. Und zwar in ländliche Bezirke des Staates Colorado. Und dass er da voll Verständnis aufgenommen wurde und da auch gestorben ist. Also, ihn hat es ganz anders getroffen. Er hat therapeutisch auch keine Chance gehabt, aber er hat immerhin in einer Familie Frieden finden können, die ihn unvermindert geliebt und geschätzt haben. Und ich war dann auch zur Beerdigung dort, zur Beisetzung, er ist eingeäschert worden. Ich bin auf außerordentlich viel freundliches Verständnis gestoßen. Vielleicht waren diese, vielleicht einfacheren Menschen vom Lande, damals weiter, als viele in unseren Bereichen.”

Safer Sex

“Er erzählte mir, dass sein Freund da häufiger Gast gewesen sei und dass der, er erzählte mir es relativ früh in unserer Bekanntschaft, dass der Freund, von dem er sich ja getrennt hatte, er von dem erfahren hatte, dass der HIV-positiv sei. Das hat mich sehr zum Nachdenken gebracht und ich hab´ ihm gesagt, also du bist ja nun auch noch in einer Zeit mit deinem Freund zusammen gewesen, wo er möglicherweise infiziert war. Das hab´ ich nicht so mit ihm besprochen, aber das ging dann in meinem Hirn da so vor sich. Und ich würde meinen, wir sollten…, ich war ja nun als Arzt für Infektiologie auch einigermaßen bewandert, und hab´ ihm gesagt, bei allem, was jetzt im Augenblick als Ursache für die HIV-Erkrankung diskutiert wird…, das Virus war ja gar nicht sofort bekannt, die ganzen Faktoren, die da ´ne Rolle spielten…, aber wenn´s denn eine Infektionskrankheit ist, dafür sprechen ja sehr viele Fakten, dann müssen wir uns auch so verhalten. Das heißt, Infektionskrankheiten werden durch Körperflüssigkeit übertragen, das gilt immer noch für Ebola, und wir müssen aufpassen, dass das nicht in unkontrollierter Weise passiert. Und wir haben dann das praktiziert, auch mit seinem Einverständnis, ohne Schwierigkeiten das praktiziert, was man später dann als Safer Sex propagierte. Vielleicht sogar noch etwas strikter zu Anfang. Und, wenn ich das dann sagen darf, ich erfuhr dann zu meinem großen Unglück von ihm aus Frankreich, dass er Erkrankungssymptome hatte, die er selber vielleicht gar nicht gedeutet hat. Ich hab´ ihm dann gesagt, er sollte versuchen, in ein Krankenhaus zu gehen. Es gab ein amerikanisches Militärhospital, wo man auch relativ schnell die Diagnose gestellt hat. (Pause) Und ich muss im weitesten Sinne sagen, dass diese Erfahrung wahrscheinlich dazu geführt hat, dass ich immer noch da bin. Weil, das war dann für mich Pflichtprogramm für den Rest meines Lebens. (äh) Irgendwo verdanke ich ihm das, verdanke ich dieser Auskunft, denn […] Das hat ja doch einen großen Einfluss auf mein Leben gehabt, in einer ganz anderen Weise, als man sich das so vorstellt.”

Arbeitsaufträge

Aufgabe 1

Im Laufe der 1980er Jahre sterben immer mehr Menschen überraschend an AIDS ohne, dass verlässliche Informationen zum HI-Virus und der Ansteckungsgefahr, geschweige denn Medikamente, vorliegen. Seht Euch die letzten Videos (B5.1-B5.4) an, um zu erfahren, was der AIDS-Ausbruch für Harm-Peters Leben bedeutete und wie er auf diese Bedrohung reagierte.

Tipp: Macht Euch Notizen und vergleicht sie in der Gruppe.

Aufgabe 2

Harm-Peter und sein Freund hatten mit Unwissenheit, Ablehnung und Angst zu kämpfen. Mittlerweile gibt es mehr verlässliche Informationen zu HIV/AIDS und den Behandlungsmöglichkeiten. Nehmt die Broschüre der Deutschen AIDS-Hilfe vor (B5_Infoflyer_AIDS-HIV) und vergleicht, was damals und heute eine HIV-Infektion bedeutet haben mag.

Tipp: Teilt Euch dazu in zwei Gruppen ein, die sich vorstellen, was eine Infektion damals für die Betroffenen bedeutete (Kleingruppe 1) und was heute (Kleingruppe 2)? (Denkt an Alltag, Beruf, zugängliche Informationen, Medizin, etc.) Tauscht Euch dann über Gemeinsamkeiten und Unterschiede aus.

Aufgabe 3a

In Deutschland leben heute nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts 80.000 Menschen mit einer HIV-Infektion. Leider gibt es jedes Jahr Neuansteckungen. Stellt Euch vor Eure Freundin_Euer Freund teilt Euch mit, dass sie_er HIV-positiv sei. Wie ginge es Dir damit? Wie würdest Du reagieren?

Tipp: Denkt auch darüber nach, ob und was eine Infektion in den verschiedenen Lebensbereichen (Familie, Liebe, Freundschaften, Schule, Beruf, Hobbies, …) verändert. Vergleicht Eure ersten Gedanken mit den Broschüre zu HIV/AIDS aus Aufgabe 2. Überprüft, wo Ihr “richtig lagt” und wo nicht.

Aufgabe 3b

Das wichtigste Mittel gegen AIDS ist Aufklärung. Das geht alle etwas an! Entwerft in zwei Gruppen Aufklärungsplakate, mit den wichtigsten Regeln und Informationen zum Thema, die Ihr in Eurer Schule oder Zuhause aufhängen könntet.

Tipp: Achtet auf häufige Irrtümer und Vorurteile im Umgang mit einer HIV-Infektion, die Ihr auf Eurem Plakat entkräften könnt.

Mögliche unklare Begriffe (Erklärt sie Euch gegenseitig oder schlagt sie nach, falls nötig.)

  • AIDS / HIV, HIV-positiv
  • Diagnose
  • Dialyse
  • infiziert
  • Infektologie
  • Konsultation
  • Safer Sex
  • Symptome