Hintergrund

Zur Überschneidung unterschiedlicher Diskriminierungen.

Quelle/Material

Augstein from Agentur Bildung on Vimeo.

Die Hürden auf dem Weg zur operativen Geschlechtsangleichung [18:38 Min]

Maria Sabine Augstein: Ja, ich hab halt mit der Klinik dann, äh, Termine gemacht. Und, äh, ich musste in Singapur dann auch noch zu / zu einem Psychologen für ein Gespräch gehen. Auf das war ich aber vorbereitet, auch durch diese Alexandra. Und das war / die amerikanische Literatur war mir ja auch bekannt und ich wusste, dass ich auf keinen Fall sagen dürfe, dass ich lesbisch bin, das wusste ich. Und ich hab mich deswegen in diesem Psychologengespräch heterosexuell dargestellt. Ja, und dann musste ich so wie bei der Führerscheinprüfung auch Fragebögen ausfüllen, aber die Fragen waren so, dass ganz klar war, was ich hier auf keinen Fall ankreuzen durfte. Also, das war auch von daher einfach. Und ich hatte ja schon den Kontakt zu dem Berliner Professor, der hat mir ne viertel Seite geschrieben, dass ich mich aufgrund Transsexualismus dem anderen Geschlecht zugehörig empfinde, und dis is auch klar, sonst hätt ich noch zum zweiten Psychologen gemusst, in Singapur. Und, aber, es reichte dann auch und ich bekam also von dem einen Psychologen dann die Zulassung zur OP. Ich bekam nen Brief mit, für den Professor / für den Operateur und, äh, ich hab dann eben mit der Klinik den / den Termin gemacht, hab das Geld einbezahlt, also das war ja nicht umsonst, dis kostete ja was. Aber nicht viel, war nicht viel, also, äh, für die eigentliche Geschlechtsumwandlung 2000 Singapurdollar und für die Brustvergrößerung 1000 Singapurdollar. Der Singapurdollar war zwischen 60 und 70 Pfennig, das war also wirklich nicht viel. Äh, ok, es kamen dann Krankenhauskosten dazu, das waren sicher auch noch vierstellige Beträge, hm, ja.Ich habe schon dargestellt, dass das, äh, dass das falsch ist, insbesondere, dass wir angeblich alle nur heterosexuell wären im neuen Geschlecht, das hab ich ja schon ausgeführt. Es war also alles schon auch sehr klischeehaft, nich, und, das hat natürlich dann auch bei der Begutachtung ne Rolle gespielt. Man muss das schon / das, äh, ma mu-, also, das wurde auch genau / ich hab Gutachten gelesen, wo genau (zeigt mit dem Finger) festgehalten wurde, was die Betroffene anhatte. Die Strümpfe, die Schuhe, das Kleid und der Schmuck, und de- / die Frisur, und / und die Aufmachung, also, es wurde schon sehr, äh, es wurde schon ein sehr, äh, konventionelles weibliches Rollenbild verlangt. Ja.

Die Reaktion von Marias Vater [21:12 Min]

Ulrike Klöppel: Ja. Wollen wir in diesem Zusammenhang vielleicht nochmal auf Ihren Vater zu sprechen kommen? Ich, äh, habe gelesen, dass er so, darauf, auf Ihre Nachricht, dass Sie also, äh, die Transition vor hätten, gut reagiert hätte. Im Spiegel-

Maria Sabine Augstein (unterbricht): Teils, Teils. Also das ich ne Frau werden wollte, dass war / war für ihn nicht schlimm, das / äh, aber, dass ich dann lesbisch bin, dass war der eine Schritt zu viel, den konnte er nicht mitgehen und da hat er sieben Jahre dafür gebraucht. Von 1976, 76 hatte ich mein coming out, bis 1983. Da war auch seine neue Frau Anna sehr wichtig, die ihm sagte: „Ach komm Rudolf, ist doch / wichtig ist doch nur, dass sie glücklich ist!“ Da / das hat er dann irgendwie schon auch akzeptieren können, und zum 40jährigen Spiegelfest 1987 hat er dann auch meine Frau kennengelernt.

Ulrike Klöppel: Und woher wusste ihr Vater so gut bescheid, über das Thema Transsexualität?

Maria Sabine Augstein: Ich habe über ne Bekannte ihm gesagt, was ich vorhabe, dass er ruhig schon mal was lesen sollte, es gab ja

Marias Erfahrungen in der Frauenbewegung [22:24 Min]

Maria Sabine Augstein: Also es ist so, dass ich, ähm / Ich habe sehr früh auch Kontakt zu feministischen, lesbischen Frauen gesucht, und ich durfte damals noch, 1975, als Mann noch in den Frauenbuchladen, muss man sich mal vorstellen. Als sich das dann geändert hat, da war mein Weg fertig, also da war das dann auch kein Problem mehr, und äh, und in dem Kontext haben schon viele mich auch akzeptiert, viele allerdings auch haben mich abgelehnt. Also die Führung, äh, wenn ich mal so formulieren darf, die Führung der lesbischen Frauenbewegung hat mich abgelehnt, für die war ich keine Frau, weil ich nicht die weib- / die Sozialisation hatte und auch körperlich nicht und so weiter. Das war nicht einfach, also die erste Frau, in die ich mich als Frau verliebt habe, die hat mich dann doch nicht haben wollen / abgelehnt, weil, äh, weil sie Angst hatte, dass sie da auf Widerstände stößt und sie wollte ja auch zu diesem engen Kreis der lesbischen Feministinnen dazugehören und, äh, wenn jetzt ich keine Frau bin, ist sie auch nicht lesbisch, dann wurde ihre eigene Identität ja auch in Zweifel gezogen und das, das war damals ganz schlimm, also ich möchte dazu eine Geschichte erzählen, die ich selber auch in der Frauenkneipe miterlebt habe. Da durfte ich also auch hin, wie auch in´n Sub, da sitzt eine Frau am Tisch, kommt eine andere Frau dazu und sagt: „du hör mal, Martina, deine Freundin, die ist nicht lesbisch, die war jahrzehntelang verheiratet und hat drei Kinder“. Ja, das war damals, de, de, es zählte nur die Frau, die immer lesbisch war, was natürlich völliger Blödsinn ist, weil, weil wir ja alle der heteronormativen Gesellschaft unterworfen waren und gerade Frauen ja auch, auch viel länger oft gebraucht haben, zur eigenen wahren Identität zu finden also, ha, da war ich ja fast noch früh dran, vergleichsweise. Hab ich später dann auch mitgekriegt, die Frauen haben erst mit Mitte 30, manchmal erst mit 40 ihre wahre Natur erkannt, was mir also mit 13 schon klar war. Also da, äh, das war also auch von daher völlig undiskutabel, äh, diese Haltung äh der / vieler radikaler Feministinnen. Da brauchte ich mich net wundern, dass sie mich nicht akzeptiert haben. Aber meine Frau (schlägt sich den Arm), die war stark. Und sie hatte auch n Renommee in der Frauenbewegung als Mitbegründerin des Verlags Frauenoffensive. Und als wir zusammen waren / seitdem wir zusammen waren, wenn sie mit mir wo hinging, war es ganz klar, ich bin ihre Frau, keine / meine Frau musste kein Wort sagen und keine Frau hat jetzt auch /es dann auch gewagt zu sagen, nein, das ist doch keine Frau also das was die eine erlebt hat da am Tisch der Frauenkneipe, das ist meiner Frau nie passiert, dass da Frauen auf sie zugegangen sind, hör mal das ist doch keine Frau, also, dass, äh, sie hat das verkörpert und ausgestrahlt, dass das überhaupt von vornherein nicht in Frage kam, sowas zu ihr zu sagen, was schon ne Leistung war. Ich denk an das letzte SLT-Treffen im Herbst 2013, da hab ich mich mit einem Schwulen unterhalten, der war / der war auch in seinem früheren Leben eine Frau und der hat mir erzählt, was sein Mann sich alles anhören musste von / im schwulen Umfeld. Die / der bekam gesagt, du bist doch nicht schwul, dein Partner ist doch kein / kein richtiger Mann, der ist doch ne Frau. Also das ist diese doppelte Unterdrückung, die wir haben, die wir also nicht immer im gewünschten Geschlecht geboren wurden, sondern die wir eben ne Geschlechtsumwandlung haben durchführen lassen und die wir dann gleichgeschlechtlich leben, und das ist ne doppelte Unterdrückung, die ist nicht ohne, zwei / zu zwei Minderheiten zu gehören.

Lohnarbeit und Geschlecht [26:13 Min]

Maria Sabine Augstein: Ja gut, die 70er Jahre, das war einfach ohne jede Einschränkung transphob. Ganz klar. Öh, homophob auch, das hat ja zu tun, und der Weg wurde allgemein abgelehnt, und jeder und jede musste sich durchkämpfen, und da is ja auch ein großes Problem das Thema Arbeit. Ich möchte es mal so / ich sprech jetzt von den 80er Jahrn, äh, ich kann das / ich fass das dann immer so zusammen: Die neuen Männer, die haben in der Regel Arbeit und nur ausnahmsweise sind sie arbeitslos, weil, is klar, die Bundesrepublik Deutschland is ein Land, äh, zum Thema Berufstätigkeit, für Männer. Und die neuen Frauen, die sind in der Regel arbeitslos und ham nur ausnahmsweise Arbeit. Da is es also genau umgekehrt. Aber das is klar, wenn ich die Situation der Frauenerwerbstätigkeit beleuchte, und auch die Chancen, und auch / im Grunde hat ne Frau nur die Möglichkeit, dass sie eben putzen geht, oder an der Supermarktkasse sitzt, viel mehr is nich, und, äh, von daher muss man sich da nich wundern, dass es uns gewordenen Frauen auch nich viel besser geht, als das ist klar.Natürlich, es gibt, wir, die wir n freien Beruf ham, als Ärztin oder als Anwältin, das geht, und erst Recht geht es, wenn wir es schaffen, dass wir im Staatsdienst sind, weil, da sind wir ja dann auch irgendwann unkün- / unkündbar, da ham wir ja auch ne Stellung als Beamtin auf Lebenszeit, da hab ich auch Fälle kennengelernt, also bei der Kriminalpolizei in einem Fall, das wurde auch als / die sind dann auch als / die waren lange Zeit Berufssoldat, und / und ham / sind dann den Weg gegangen / konnten auch ihren Beruf als Offizierinnen weiter ausüben und das is alles paletti, aber natürlich, wer nicht diese Möglichkeiten hat, hat in der Regel keine Beschäftigung gefunden, und lebt dann eben von Hartz IV.

Arbeitsaufträge

Aufgabe 1

Seht Euch das Video von 18:38 Min bis 28:13 Min an. Notiert, wer welche Probleme mit Marias Identität hatte.

Aufgabe 2

Für Maria war es wichtig, sich in ihrem Umfeld gleichzeitig als weiblich und lesbisch zu outen. Für beide Eigenschaften erfährt sie Diskriminierung in der Gesellschaft. Es gibt viele Menschen, die von mehreren unterschiedlichen Diskriminierungsformen gleichzeitig betroffen sind.  Maria gibt selbst ein weiteres Beispiel:

“Die neuen [gewordenen] Männer, die haben in der Regel Arbeit und nur ausnahmsweise sind sie arbeitslos, weil, is klar, die Bundesrepublik Deutschland is ein Land, zum Thema Berufstätigkeit, für Männer. Und die neuen [gewordenen] Frauen, die sind in der Regel arbeitslos und ham nur ausnahmsweise Arbeit. Da is es also genau umgekehrt. Aber das is klar, wenn ich die Situation der Frauenerwerbstätigkeit beleuchte, und auch die Chancen, und m Grunde hat ne Frau nur die Möglichkeit, dass sie eben putzen geht, oder an der Supermarktkasse sitzt, viel mehr is nich, …und … von daher muss man sich da nich wundern, dass es uns gewordenen Frauen auch nich viel besser geht, also das ist klar. Natürlich, es gibt,… wir, die wir n freien Beruf ham, als Ärztin oder als Anwältin, das geht, und erst Recht geht es, wenn wir es schaffen, dass wir im Staatsdienst sind, weil, da sind wir ja dann auch irgendwann unkündbar, da ham wir ja auch ne Stellung als Beamtin auf Lebenszeit, da hab ich auch Fälle kennengelernt, also bei der Kriminalpolizei in einem Fall, das wurde auch […] die waren lange Zeit Berufssoldat, und sind dann den Weg gegangen – konnten auch ihren Beruf als Offizierinnen weiter ausüben und das is alles paletti, aber natürlich, wer nicht diese Möglichkeiten hat, hat in der Regel keine Beschäftigung gefunden, und lebt dann eben von Hartz IV.”

Welche Diskriminierungsformen wirken hier zusammen? Fallen Euch andere Beispiele für solche Überschneidungen ein?

Tipp: Das Wort “Intersektionalität” kommt aus dem Lateinischen intersectio (etwa: die Kreuzung). Die Bedeutung kann man sich mit folgendem Bild vorstellen:

„Nehmen wir als Beispiel eine Straßenkreuzung, an der der Verkehr aus allen vier Richtungen kommt. Wie dieser Verkehr kann auch Diskriminierung in mehreren Richtungen verlaufen. Wenn es an einer Kreuzung zu einem Unfall kommt, kann dieser von Verkehr aus jeder Richtung verursacht worden sein – manchmal gar von Verkehr aus allen Richtungen gleichzeitig. Ähnliches gilt für eine Schwarze Frau, die an einer „Kreuzung“ verletzt wird; die Ursache könnte sowohl sexistische als auch rassistische Diskriminierung sein.“

Ihr könnt zur Lösung der Aufgabe selbst auf einem Flipchart eine solche Kreuzung aufmalen. Dabei solltet Ihr überlegen, wer sich auf der Kreuzung befindet – welche unterschiedlichen Straßen der Diskriminierung sich also kreuzen – und in welchen Situationen “Unfälle” entstehen können.

Aufgabe 3

In unserer Gesellschaft bekleiden Menschen verschiedene Rollen und gehören zu unterschiedlichen Gruppen, die ihr Selbstbild prägen. Maria ist beispielsweise eine gewordene Frau und lesbisch – doch es gibt natürlich viele weitere Eigenschaften, die sie als Person ausmachen. Entwickelt in Stichpunkten Eigenschaften oder Rollen, denen Ihr Euch zugehörig fühlt.

Tipp: Mit der “Blütenblatt”-Methode (siehe Arbeitsblatt AB_A3_Blütenblatt) könnt Ihr diese Eigenschaften von Euch und Maria anhand verschiedener Kategorien darstellen, z.B.:

  • Teil meiner Familie (Tochter, Bruder, jüngstes Kind, …),
  • Teil einer Clique,
  • Mitglied bei…,
  • Fan von…,
  • Geschlecht (Mann / Frau / Inter / …),
  • Schule oder Ausbildung,
  • Hautfarbe,
  • Freund_in von…,
  • hetero- / homo- / bisexuell / queer / …,
  • Nationalität,
  • Finanzieller Hintergrund Eurer Eltern oder Familie (Ärzte, Beamte, Angestellte, Arbeiter_innen, …),
  • Alter,
  • …oder was Euch noch einfällt.

Wichtig: Ihr könnt selbst entscheiden, was Ihr über Euch aufschreibt und/oder mit den anderen in der Gruppe teilen möchtet. Anschließend könnt Ihr Eure Blütenblätter diskutieren, z.B. mit folgenden Fragen:

  • Warum werden manche Informationen zuerst genannt?
  • Warum sind manche so wenig, andere so häufig genannt worden?
  • Welche Rollen habt Ihr zusätzlich gefunden? Warum sind sie wichtig für Euch? (z.B. Herkunft – Ossi/Wessi; Gesundheit/Krankheit; Besitzerin oder Besitzer von …; zusammenlebend mit …)
  • Stellt Euch vor, Ihr würdet Euch um einen Ausbildungsplatz bewerben. Würdet Ihr andere Informationen hervorheben (andere Kategorien / Reihenfolge), um Euch selbst zu beschreiben? Warum?
  • In welchen Rollen fühlt ihr euch wohl und in welchen nicht?
  • Inwiefern bestimmen die von Euch aufgeführten Rollen Euer Verhalten?

Mögliche unklare Begriffe (Erklärt sie Euch gegenseitig oder schlagt sie nach, falls nötig.)

Feminismus / Feminist_innen
Intersektionalität (lat. intersection / Kreuzungsmetapher)
indiskutabel