“Nach ‘45 hab ich erleben müssen, dass sich weder die Gefängniszellen, noch die Richter in der jungen Bundesrepublik geändert hätten.”

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Abstract

Wolfgang Lauinger wurde 1918 als zweiter Sohn des jüdischen Journalisten Artur Lauinger und seiner christlichen Ehefrau Mathilde in Zürich geboren. Sein Vater arbeitete zu dieser Zeit am Deutschen Generalkonsulat in Zürich. Noch im Winter 1918 kehrte die Familie nach Frankfurt am Main zurück, wo Wolfgang und sein älterer Bruder Herbert aufwuchsen. 1924 ließen sich die Eltern scheiden, Die Söhne wuchsen in der Obhut des Vaters sowie wechselnder Kindermädchen auf. 1928 heiratete Artur Lauinger die aus Stuttgart stammende Emilie Moos.

Sachanalyse

„[…] der Begriff „Homosexualität“ existierte eigentlich, nach meiner Erinnerung, nicht. Der spaltete sich ja erst später mit dem Entwicklung, damals waren des 16-, 17-Jährige, die sich dann entweder so oder so entwickelten. Das heißt, wenn ich heute drüber nachdenke, so is mir klar, dass die meisten homoerotischen Beziehungen zu Gleichgeschlechtlichen nicht abhängig waren von Veranlagung, sondern einfach ein Zusammengehörigkeitsgefühl von jungen Menschen, Frauen oder Männer, die ganz normal waren. Da war nichts Besonderes drin zu sehen. (Pause) Ich sprech jetzt von der Vor-Hitlerzeit! Ja, ich war ja 15 Jahr… (Pause) Das sich das später politisiert hat, ist ja ´ne andere Geschichte. Aber zu dieser Zeit waren diese Beziehungen eigentlich…, (äh) welche bekannt wurden, akzeptiert, ohne dass darüber gesprochen wurde. In der Schule oder auch nicht in dem Ding. Ich hatte nicht, nie das Gefühl einer Anfeindung. Das jemand sacht, in der Schule, der is ja schwul! Des Wort existierte gar nicht! Man wusste, dass die eng befreundet sind.“

Zusammenfassung Wolfgang Lauinger

Wolfgang Lauinger wurde 1918 als zweiter Sohn des jüdischen Journalisten Artur Lauinger und seiner christlichen Ehefrau Mathilde in Zürich geboren. Sein Vater arbeitete zu dieser Zeit am Deutschen Generalkonsulat in Zürich. Noch im Winter 1918 kehrte die Familie nach Frankfurt am Main zurück, wo Wolfgang und sein älterer Bruder Herbert aufwuchsen. 1924 ließen sich die Eltern scheiden, Die Söhne wuchsen in der Obhut des Vaters sowie wechselnder Kindermädchen auf. 1928 heiratete Artur Lauinger die aus Stuttgart stammende Emilie Moos.

Wolfgang Lauinger besuchte in Frankfurt ab dem sechsten Lebensjahr für vier Jahre die Volksschule, danach zunächst das Goethe-Gymnasium.. Als er 15 Jahre alt war, wurde Adolf Hitler von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Benachteiligungen in der Schule aufgrund seiner jüdischen Herkunft erinnert er nicht. Wegen seiner schlechten Noten wechselte er mehrfach die Schule und begann schließlich 1937 eine Lehre zum Werkzeugmacher.

1939 wurde Artur Lauinger in die Emigration gezwungen. Wolfgang Bruder Herbert war bereits 1937 nach Argentinien emigriert, wo Verwandte von Emilie Moos lebten. Wolfgang Lauinger blieb allein in Frankfurt zurück und wurde im Januar 1940 zur Wehrmacht eingezogen. Fünf Monate später wurde er als „Halbjude“ wieder entlassen. Er kehrte nach Frankfurt zurück und schloss sich dem Harlem-Club an, einer Gruppe begeisterter Swing-Kids. Die Gruppe wurde von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) bespitzelt. 1941 wurde der damals 16-jährige Franz Kremer (1925-2005) verhaftet. Ungefähr acht Wochen lang wurde er verhört, beschimpft und verprügelt: Er sollte gestehen, dass Wolfgang Lauinger homosexuell ist. Aber Franz Kremer schwieg und wurde frei gelassen. Anfang Dezember wurden weitere Mitglieder der Gruppe zur Gestapo bestellt, darunter auch Wolfgang Lauinger. Gegen die Jugendlichen wurde wegen des Hörens von „Feindsendern“ und anglophiler Tendenzen ermittelt. Bis zu seinem Prozess im März 1942 saß Wolfgang Lauinger in Einzelhaft im Gefängnis in der Frankfurter Klapperfeldgasse und wurde immer wieder verhört. Da weder die Verhöre noch Hausdurchsuchungen zu einem Ergebnis führten, wurde er schließlich – wie auch einige seiner Freunde – wegen Glücksspiels und des Besitzes von einem Stück Leder zu drei Monaten verurteilt. Rechnet man die Untersuchungshaft hinzu, saß er damals insgesamt sieben Monate im Gefängnis.

Nach seiner Freilassung im Juni 1942 tauchte Wolfgang Lauinger unter: Er wurde, wie ihm seine Wirtin berichtete, erneut gesucht. Im August vertraute er sich seiner in Baden-Baden lebenden, leiblichen Mutter an, deren Lebensgefährte ihm eine Arbeit in Pforzheim besorgte. 1944 wurde er ein weiteres Mal von der Gestapo verhört, nachdem er seinen Freund Josef Steingass aus dem Gefängnis befreit hatte, doch auch dieses Mal konnte ihm nichts nachgewiesen werden.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lebte Wolfgang Lauinger zunächst von Schwarzmarktgeschäften in Frankfurt am Main 4. Der Gewinn wurde aber im Verlauf der Währungsreform (Juni 1948) immer geringer, und er nahm eine Arbeit auf dem Flughafen der Amerikaner an. 1950 wurde Wolfgang Lauinger in Frankfurt aufgrund des Verdachts des Verstoßes gegen den Paragrafen 175 erneut verhaftet. Einzig ein Strichjunge galt als Kronzeuge. Er saß für sechs Monate in Einzelhaft, ohne eine Anklage gehört oder einen Prozess gehabt zu haben. Zur „Vernehmung“ kam er in das dasselbe Untersuchungsgefängnis (Hammelsgasse), in dem er schon 1941/42 vernommen worden war. Aus der Haft heraus wandte er sich im Winter 1950 zunächst an seinen aus der Emigration zurück gekehrten Vater, dann an den damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss: Beide versagten ihm ihre Hilfe. Im Februar 1951 kam es schließlich zu einem Prozess gegen ihn, doch binnen weniger Minuten wurde er freigesprochen.

Ab 1956 arbeitete er als Chauffeur für amerikanische Touristen. Im Jahr 1961 wurde Lauingers Verurteilung von 1942 aufgehoben, aber bis heute hat er keine Wiedergutmachung oder Entschädigungszahlungen erhalten. Er hat in den letzten zehn Jahren Klagen an verschiedenen deutschen Gerichten eingereicht. Er fordert die Rehabilitierung der verurteilten 175er und eine gesamtgesellschaftliche, kritische Auseinandersetzung mit dem Umgang mit der Nazivergangenheit in der frühen Bundesrepublik.

Glossar

Für die häufigsten Begriffe zum Thema dieses Moduls bitten wir auf das “Glossar zum Thema geschlechtliche und sexuelle Vielfalt im Kontext von Antidiskriminierung und Pädagogik” von QUEERFORMAT-der Fachstelle queere Bildung zurückzugreifen.

Empfohlener Jahrgang: 

Ab Klasse 9

Einordnung in den RLP: 

Geschichte

Autor_innen: 

Malte Lührs und Joscha Jelitzki

BILDUNGSMODULE

Baustein Biografiearbeit

„Eine eindeutige Orientierung war nicht zu erkennen.“

Wolfgang Lauingers Kindheit und Jugend in Frankfurt

Baustein Biografiearbeit

„Und des ging einem irgendwann auf die Nerven, weil es ja mit Gleichschritt zu tun hatte.“

Wolfgang Lauinger in der Swing-Jugend während des Nationalsozialismus

Baustein Biografiearbeit

„…die alten Nazi-Gesetze wieder in Gang…“

Wolfgang Lauinger als Opfer der Frankfurter Homosexuellen-Gesetze 1950/51